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16. März – 30. April 2024

Di, Do, Fr u. So 14–17 Uhr | Sa 11–17 Uhr 

| 16. März – 30. April 2024:
Di, Do, Fr, So 14–17 Uhr | Sa 11–17 Uhr

In Bulemanns Haus herrschen die Katzen, die Möwe fliegt ans Haf und der Schimmelreiter stürzt sich mit seinem geheimnisvollen Pferd in die Sturmflut – kein Zweifel, immer wieder spielen Tiere in Theodor Storms Werk entscheidende Rollen. Auch wenn einige Forschungsbeiträge sich diesem Thema zugewandt haben, so verlangt es doch gerade heute nach einer neuen und umfassenden Erörterung.

   Mit der Grundfrage nach literarischen Modellierungen der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren haben sich in den letzten Jahren, in kulturtheoretischen Überlegungen und praktischen Textanalysen, die Cultural and Literary Animal Studies befasst; Roland Borgards hat sie 2016 in seinem maßgebenden Kulturwissenschaftlichen Handbuch Tiere vorgestellt. Diese Studien haben sich über das Interesse an einzelnen Motiven und Symbolen hinaus zu einer ungemein produktiven Anregung der Literatur- und Kulturwissenschaften entwickelt. Weit über die Fachdebatten hinaus gehen sie uns alle an, mit Blick auf die bedrängenden Zeitfragen nach der Beherrschung und Zerstörung von natürlichen Zusammenhängen unserer Lebenswelt.

   Animal Studies fragen etwa, wie Tiere in Texten als Verkörperungen eines Anderen erscheinen oder als Teil eines Kontinuums, zu dem auch Menschen gehören, ob sie als Projektionsflächen oder Identifikationsangebote fungieren, als Tier-Individuen oder Schablonen. Diesen Fragen gerade in Theodor Storms Werk nachzugehen, liegt denkbar nahe. Denn allenthalben geht es in ihnen ja um das Zusammenleben von Menschen und Tieren, um Kämpfe und Symbiosen, um Lebensformen, Machtverhältnisse und die Frage nach natürlichen und ideellen Ordnungen.

   Storm schreibt in einer Epoche, in der mit populären Werken wie Brehms Tierleben das bürgerliche Bildungsinteresse sich in ganz neuer Weise auf Tiere richtet, in der Charles Darwins Evolutionstheorie den Menschen selbst als Bestandteil des Tierreichs begreift und in der Storms Landsmann Friedrich Hebbel das Verhältnis von Menschen und Tieren als einen fortgesetzten Weltkrieg der Arten deutet. In diesem Zeitkontext entwerfen Storms Erzählungen und Gedichte ganz eigenständige und eigenwillige Konzepte. So lesen sich auch Texte, die man längst zu kennen glaubte, in der Perspektive der Animal Studies auf eine überraschend neue Weise. Sie sprechen in die Zeit einer globalen Krise hinein, in der darum gerungen wird, wie wir uns zu unserer Umwelt verhalten sollen, was wir tun müssen – oder gerade nicht tun dürfen.


In den Vorträgen und Diskussionen der Storm-Tagung 2024 sollen kanonische Werke wie Der Schimmelreiter und Bulemanns Haus untersucht werden, aber auch bislang eher am Rande des Leserinteresses stehende Werke wie Der Amtschirurgus – Heimkehr. Eingeladen sind ROLAND BORGARDS (Goethe-Universität Frankfurt/M.), VERA THOMANN (Universität Wien) und HEINRICH DETERING (Universität Göttingen).

WORUM ES GEHT: Der bedrohlichsten, am übelsten beleumundeten Tierart, mit der die Menschen seit Jahrhunderten zusammenleben, hat Storm eine erstaunliche und sachkundige Aufmerksamkeit gewidmet. Ratten erscheinen bei ihm in Märchen, Sagen und historischen Novellen, von Renate bis zum Fest auf Haderslevhuus, zunehmend ambivalent als Täter und als Opfer. Schließlich entwickelt er aus Rattengeschichten das Gegenbild zu einer menschlichen Gesellschaft, an deren Gewaltsamkeit und Grausamkeit er verzweifelt. Im Amtschirurgus wird daraus das Bild eines Zusammenlebens von menschlichen Außenseitern und verachteten Tieren – eine soziale und ökologische Utopie.

WORUM ES GEHT: Betrachtet werden soll die große Tier-Novelle Storms, Der Schimmelreiter. Das Erkenntnisinteresse aber gilt hierbei nicht den üblichen Protagonisten, dem Schimmel, dem Hund, dem Kater der Trien’ Jans oder der Möwe Claus. Sondern es geht um die bemerkenswerte Artenvielfalt in Storms bekanntester Tier-Erzählung. Es geht um Lerche, Otter und Schaf, aber auch um Kuh, Maus und Strandläufer.

WORUM ES GEHT: Ob als Anomalie der Natur, als Objekt für sakrifizielle Riten oder als Marker der Standardisierung in der Wissenschaft: Weiße Tiere kennzeichnet gemeinhin eine Ambivalenz zwischen Auffälligkeit (als Individuum) und Unsichtbarkeit (im Kollektiv), zwischen Gemachtheit und Zufälligkeit, zwischen Todgeweihten und Schutzbedürftigen. Während die weiße Farbe von Tierfigurationen in der Literatur eine individualisierende Hervorhebung leistet – bekannte Beispiele bilden Madame d’Aulnoys La Chatte Blanche, Herman Melvilles Moby Dick oder Lewis Carrolls White Rabbit –, lässt sich bei Theodor Storm eine kollektive und speziesübergreifende Funktionalisierung von weißen Tieren nachvollziehen. Mein Beitrag widmet sich diesem Storm’schen ›Tiermodell‹ ausgehend von der Hypothese, dass die Hypervisibilität der weißen Tierfigurationen eine für Storms Novellen erarbeitete »Krise der Wahrnehmung« (Schwarz 1998, Strowick 2011) maßgeblich stabilisiert. Wie mit Verweis auf Eine Halligfahrt, Ein Bekenntnis sowie Der Schimmelreiter zu zeigen sein wird, ist hinsichtlich der Storm’schen Tierfigurationen deshalb gerade nicht von einem Formverlust bzw. einer Unform der Sinneseindrücke auszugehen (vgl. die im Schimmelreiter behauptete »Unform von einem Kater«, LL 3, S. 646). Vielmehr bilden die weißen Tiere ein beständiges Strukturprinzip, deren Auftreten, Inszenierung sowie Bewegung zwischen Vitalität und Tod einer strengen Ordnung folgt und entsprechend narrativ angelegte Instabilitäten in Zeit, Raum und Fokalisierung kompensiert. Anhand der weißen Tiere leitet sich bei Storm demgemäß ein animales sacrificium her, das nicht nur motivisch angelegt ist, sondern auf der strukturellen Ebene des Erzählens regulatorisch wirkt.

In Bulemanns Haus herrschen die Katzen, die Möwe fliegt ans Haf und der Schimmelreiter stürzt sich mit seinem geheimnisvollen Pferd in die Sturmflut – kein Zweifel, immer wieder spielen Tiere in Theodor Storms Werk entscheidende Rollen. Auch wenn einige Forschungsbeiträge sich diesem Thema zugewandt haben, so verlangt es doch gerade heute nach einer neuen und umfassenden Erörterung.

   Mit der Grundfrage nach literarischen Modellierungen der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren haben sich in den letzten Jahren, in kulturtheoretischen Überlegungen und praktischen Textanalysen, die Cultural and Literary Animal Studies befasst; Roland Borgards hat sie 2016 in seinem maßgebenden Kulturwissenschaftlichen Handbuch Tiere vorgestellt. Diese Studien haben sich über das Interesse an einzelnen Motiven und Symbolen hinaus zu einer ungemein produktiven Anregung der Literatur- und Kulturwissenschaften entwickelt. Weit über die Fachdebatten hinaus gehen sie uns alle an, mit Blick auf die bedrängenden Zeitfragen nach der Beherrschung und Zerstörung von natürlichen Zusammenhängen unserer Lebenswelt.

   Animal Studies fragen etwa, wie Tiere in Texten als Verkörperungen eines Anderen erscheinen oder als Teil eines Kontinuums, zu dem auch Menschen gehören, ob sie als Projektionsflächen oder Identifikationsangebote fungieren, als Tier-Individuen oder Schablonen. Diesen Fragen gerade in Theodor Storms Werk nachzugehen, liegt denkbar nahe. Denn allenthalben geht es in ihnen ja um das Zusammenleben von Menschen und Tieren, um Kämpfe und Symbiosen, um Lebensformen, Machtverhältnisse und die Frage nach natürlichen und ideellen Ordnungen.

   Storm schreibt in einer Epoche, in der mit populären Werken wie Brehms Tierleben das bürgerliche Bildungsinteresse sich in ganz neuer Weise auf Tiere richtet, in der Charles Darwins Evolutionstheorie den Menschen selbst als Bestandteil des Tierreichs begreift und in der Storms Landsmann Friedrich Hebbel das Verhältnis von Menschen und Tieren als einen fortgesetzten Weltkrieg der Arten deutet. In diesem Zeitkontext entwerfen Storms Erzählungen und Gedichte ganz eigenständige und eigenwillige Konzepte. So lesen sich auch Texte, die man längst zu kennen glaubte, in der Perspektive der Animal Studies auf eine überraschend neue Weise. Sie sprechen in die Zeit einer globalen Krise hinein, in der darum gerungen wird, wie wir uns zu unserer Umwelt verhalten sollen, was wir tun müssen – oder gerade nicht tun dürfen.


In den Vorträgen und Diskussionen der Storm-Tagung 2024 sollen kanonische Werke wie Der Schimmelreiter und Bulemanns Haus untersucht werden, aber auch bislang eher am Rande des Leserinteresses stehende Werke wie Der Amtschirurgus Heimkehr. Eingeladen sind ROLAND BORGARDS (Goethe-Universität Frankfurt/M.), VERA THOMANN (Universität Wien) und HEINRICH DETERING (Universität Göttingen).

WORUM ES GEHT: Der bedrohlichsten, am übelsten beleumundeten Tierart, mit der die Menschen seit Jahrhunderten zusammenleben, hat Storm eine erstaunliche und sachkundige Aufmerksamkeit gewidmet. Ratten erscheinen bei ihm in Märchen, Sagen und historischen Novellen, von Renate bis zum Fest auf Haderslevhuus, zunehmend ambivalent als Täter und als Opfer. Schließlich entwickelt er aus Rattengeschichten das Gegenbild zu einer menschlichen Gesellschaft, an deren Gewaltsamkeit und Grausamkeit er verzweifelt. Im Amtschirurgus wird daraus das Bild eines Zusammenlebens von menschlichen Außenseitern und verachteten Tieren – eine soziale und ökologische Utopie.

WORUM ES GEHT: Betrachtet werden soll die große Tier-Novelle Storms, Der Schimmelreiter. Das Erkenntnisinteresse aber gilt hierbei nicht den üblichen Protagonisten, dem Schimmel, dem Hund, dem Kater der Trien’ Jans oder der Möwe Claus. Sondern es geht um die bemerkenswerte Artenvielfalt in Storms bekanntester Tier-Erzählung. Es geht um Lerche, Otter und Schaf, aber auch um Kuh, Maus und Strandläufer.

WORUM ES GEHT: Ob als Anomalie der Natur, als Objekt für sakrifizielle Riten oder als Marker der Standardisierung in der Wissenschaft: Weiße Tiere kennzeichnet gemeinhin eine Ambivalenz zwischen Auffälligkeit (als Individuum) und Unsichtbarkeit (im Kollektiv), zwischen Gemachtheit und Zufälligkeit, zwischen Todgeweihten und Schutzbedürftigen. Während die weiße Farbe von Tierfigurationen in der Literatur eine individualisierende Hervorhebung leistet – bekannte Beispiele bilden Madame d’Aulnoys La Chatte Blanche, Herman Melvilles Moby Dick oder Lewis Carrolls White Rabbit –, lässt sich bei Theodor Storm eine kollektive und speziesübergreifende Funktionalisierung von weißen Tieren nachvollziehen. Mein Beitrag widmet sich diesem Storm’schen ›Tiermodell‹ ausgehend von der Hypothese, dass die Hypervisibilität der weißen Tierfigurationen eine für Storms Novellen erarbeitete »Krise der Wahrnehmung« (Schwarz 1998, Strowick 2011) maßgeblich stabilisiert. Wie mit Verweis auf Eine Halligfahrt, Ein Bekenntnis sowie Der Schimmelreiter zu zeigen sein wird, ist hinsichtlich der Storm’schen Tierfigurationen deshalb gerade nicht von einem Formverlust bzw. einer Unform der Sinneseindrücke auszugehen (vgl. die im Schimmelreiter behauptete »Unform von einem Kater«, LL 3, S. 646). Vielmehr bilden die weißen Tiere ein beständiges Strukturprinzip, deren Auftreten, Inszenierung sowie Bewegung zwischen Vitalität und Tod einer strengen Ordnung folgt und entsprechend narrativ angelegte Instabilitäten in Zeit, Raum und Fokalisierung kompensiert. Anhand der weißen Tiere leitet sich bei Storm demgemäß ein animales sacrificium her, das nicht nur motivisch angelegt ist, sondern auf der strukturellen Ebene des Erzählens regulatorisch wirkt.

Die Exkursion führt – diesmal am Samstagabend, statt, wie üblich, am Sonntag – nach Hademarschen, wo in diesem Jahr auf Gut Hanerau unter der Regie von FRANK DÜWEL die Premiere der Schimmelreiter-Festspiele stattfindet. Die besondere Atmosphäre des Spielorts verbindet sich mit der Dichtung Storms und schafft ein einzigartiges Theatererlebnis: Theodor Storms mächtige Deichnovelle führt uns in die bäuerliche Welt an der Nordseeküste in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Wir lernen den jungen Hauke als Einzelgänger kennen, der weder für Kühe noch Schafe Sinn hat, aber im Herbst, wenn die Fluten höher steigen, einsam am Deich grübelt, umgeben vom Geschrei der Möwen und Strandvögel, wo ihm die Idee zu einem neuen Deich wächst, der besser vor den lebensbedrohenden Fluten schützt. Hauke Haien wird Elke Volkerts, die Tochter des alten Deichgrafen, heiraten und selbst in das große Amt aufsteigen. Unnachgiebig wird er vom Rücken seines Schimmels herab seinen neuen Deich gegen große Teile der Dorfgemeinschaft durchsetzen, und bald geht die Rede, Hauke sei mit dem Teufel im Bunde. Am Ende setzt eine große Sturmflut ein, um Tiere und Menschen zu verschlingen.

Eröffnet wird die Tagung am Freitagabend mit einer Lesung der Husumer Schriftstellerin DÖRTE HANSEN, die mit ihren drei Romanen Altes Land (2015), Mittagsstunde (2018) und Zur See (2022) eines der am meisten beachteten Erzählwerke im deutschsprachigen Raum der Gegenwart geschaffen hat.

Muss man das Frieren üben, wenn man aus einer Walfänger-Familie stammt? Kann uns die Stadt von einer Dorfkindheit erlösen – und umgekehrt? Was macht die Natur mit uns, was machen wir mit der Natur? Persönliche Prägungen und gesellschaftlicher Wandel, alte Ordnungen und neue Freiheiten, das sind die Themen, um die es bei der Lesung von Dörte Hansen geht und worüber die Autorin mit dem Publikum anschließend ins Gespräch kommen möchte.

Bild: Heinrich Detering und Dörte Hansen im Herbst 2023 im Storm-Haus.