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16. März – 30. April 2024

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Studium in Berlin 1838/39

Kurz nach Ostern 1838 nahm Storm sein Jura-Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) auf. Deren Hauptgebäude befindet sich seit ihrer Gründung im Jahre 1809 im Prinz-Heinrich-Palais, Unter den Linden 6. Aus einem Brief Lucie Storms an ihren Sohn vom 1. August 1838, auf dem eine Adressenänderung angegeben ist, lässt sich schließen, dass er zunächst in der Behrenstraße 13 gewohnt hat und einige Wochen später in die Charité-Straße 7 umgezogen ist. Auf dem Grundstück in der Behrenstraße, schräg gegenüber der 1892 eröffneten Komischen Oper gelegen, steht heute ein Gebäudekomplex, in dem der Berliner Dienstsitz des Bundesgesundheitsministeriums untergebracht ist. In der im Sommer 1838 entstandenen humoristischen Erzählung Beroliniana beschreibt Storm in fiktionaler Verkleidung seine Eindrücke während der Einfahrt der Postkutsche in Berlin und bemüht sich dabei auch um Wiedergabe des Berliner Zungenschlages: »Stecken Se den Kopp doch weiter rausser […], da werden Se schonst de Pferde uff d’ Brandenburger Dor sehen kennen. Na, Se werden de Oogen uffreißen, des is eene Stadt; Berlin, des is eene eenzig schöne Stadt« (LL 4, 448f.). In dieser frühen Prosa-Skizze berichtet Storm von einigen unangenehmen Erfahrungen des Neuankömmlings aus der Provinz. Dazu gehören die Arroganz der Berliner gegenüber Zugereisten, der allgegenwärtige, sich über Kleidung und Haare legende Straßenstaub, das schlechte Essen und die Bettwanzen im Zimmer, welches im Übrigen »sieben und siebzig Stufen hoch« lag, was sich vermutlich auf die in der dritten Etage gelegene Wohnung in der Behrenstraße bezieht. Storms spätere Bleibe in der Charité-Straße 7, heute Karlplatz 7, war nur wenige Meter vom Eingang zum Campus der Charité entfernt, die sich in jenen Jahren vom reinen Militärkrankenhaus zum Universitätsklinikum wandelte.

»Der Studiosus mochte wollen oder nicht, er mußte zur Postkutsche herausgucken, und so sah er denn, daß die Chaussee durch ein Lustgehölz führte, wo an beiden Seiten des Weges Menschen zu Fuß und zu Pferde in Menge einhertrottierten. ›Tiergarten?‹ – murmelte er noch traumtrunken. ›Ich sehe gar keinen Sperling!‹ ›Das ist grade der Witz dabei‹, sprudelte der Doktor, ›lucus a non lucendo; eben darum heißt es ja Tiergarten, weil gar keine Tiere darin sind.‹«

Beroliniana, 1838

Durch seinen Lübecker Schulfreund Ferdinand Röse, der schon seit längerem in Berlin studierte, lernte Storm Kommilitonen kennen, mit denen er eine Theatergruppe gründete. Während seiner Berliner Zeit machte er mit Freunden Ausflüge in den Grunewald und auf die Havelinseln, wo er einmal bei Mondschein zu einer weißen Wasserrose schwamm und sich in ihren Stängeln verfing – ein Erlebnis, das er später in seiner Novelle Immensee (1849) verarbeitete – und er reiste nach Dresden, um die Museen und die Semperoper zu besuchen. Obwohl Storm an der Berliner Universität bei bedeutenden Rechtsgelehrten wie Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) und Carl Gustav Homeyer (1795–1874) studieren durfte, kehrte er im Herbst 1839 nach Kiel zurück. Enttäuscht war er vor allem darüber, dass er niemanden hatte, der ihn in die Salons einführte und ihm Zugang zu bekannten Dichtern (wie den von ihm hoch verehrten Eichendorff) verschaffte.

Aufenthalt bei Kugler im September 1853

Im September 1853 fuhr Storm nach Berlin, um seiner Bewerbung in den preußischen Justizdienst durch eine Audienz beim Justizminister Nachdruck zu verleihen. Der junge Husumer Anwalt, der mit Immensee bereits auf einen vielbeachteten literarischen Erfolg zurückblicken konnte, war bei einem vorherigen Berlin-Besuch zu Weihnachten 1852 von seinem Verleger Duncker mit Friedrich Eggers bekannt gemacht worden, der ihm Zugang zum Dichterkreis ›Tunnel über der Spree‹ verschafft hatte. Die Mitglieder dieser literarischen Vereinigung trafen sich regelmäßig in der Wohnung des Kunsthistorikers und Dichters Franz Kugler (1808–1858) in der Friedrichstraße 242. Dort wohnte Storm in den drei Wochen seines Berlin-Aufenthaltes im September 1853. In Kuglers Wohnung wurde dann auch wahr, wovon Storm als Student nur träumen konnte: ein Treffen mit Joseph von Eichendorff, das am 16. Februar 1854 im Rahmen eines Diners stattfand. Im Brief an die Brinkmanns vom 22.2.1854 beschrieb er Eichendorff als liebenswürdigen alten Mann, »still und bescheiden in seinem Wesen, mit milden blauen Augen, in denen aber wirklich seine ganze Romantik noch jetzt zu finden ist.« In der vom Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges völlig zerstörten und aufgrund der Nähe zur Berliner Mauer erst mit jahrzehntelanger Verzögerung wiederaufgebauten Gegend steht heute kein historisches Gebäude mehr, und dort, wo einst Kuglers Wohnung lag, befindet sich nun der Theodor-Wolff-Park.

Storm und der ›Tunnel über der Spree‹

Im Dichterkreis ›Tunnel über der Spree‹ wurde Storm freundschaftlich von Franz Kugler und Theodor Fontane aufgenommen, die am 14. September 1853 sogar eine Geburtstagsfeier für ihn arrangierten. Der Briefwechsel mit Fontane begann kurz vor der ersten Begegnung der beiden in Kuglers Wohnung am 1. Januar 1853. Welch nachhaltigen Eindruck Storm bei den Mitgliedern des ›Tunnels‹ und der daraus hervorgegangenen, eben erst gegründeten ›Rütli‹-Gruppe hinterlassen hatte, bekundet der Brief Fontanes vom 8. März 1853: »Sie sind uns die Verkörperung von etwas ganz besonderem in der Poesie und leben neben vielem andren auch als eine Art Gattungsbegriff bei uns fort.» Trotz seiner Lobrede lehnte Fontane die Veröffentlichung des von Storm für das Rütli-Jahrbuch ›Argo‹ eingereichten Gedichts Geschwisterblut ab, denn man wollte auf gar keinen Fall mit sittenwidrigen Texten Anstoß erregen. In seinem Brief vom 27. März 1853 brachte Storm seine Vorbehalte gegenüber dem ›Berliner Wesen‹ zum Ausdruck. Das Berliner Bildungsbürgertum lege den Schwerpunkt »nicht in die Persönlichkeit, sondern in Rang, Titel, Orden und dergleichen Nipps.« Ihm fehle »die goldne Rücksichtslosigkeit, die allein den Menschen innerlich frei macht, und die […] das letzte und höchste Resultat jeder Bildung sein muß.«

»Blüte edelsten Gemütes
Ist die Rücksicht; doch zu Zeiten

Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.«

Für meine Söhne, 1854

Der Brief zeigt deutlich den Gegensatz zwischen dem freiheitsliebenden Storm und den auf Etikette bedachten und an den preußischen Machtapparat angepassten Berliner Schriftstellern wie Fontane, die ständig auf der Hut waren, Dinge zu äußern, die sie in ihren »resp. Stellungen nicht riskieren könnten« (Fontane an Storm, 11.4.1853). Letztlich hat es Storm aber den guten Beziehungen eines ›Rütli‹-Mitglieds, nämlich des Kammergerichtsrats Wilhelm von Merckel (1803–1861), zu verdanken, dass er nach fast einjähriger Wartezeit seine Stelle am Potsdamer Kreisgericht bekam – nach einem angenehmen Gespräch mit dessen Direktor von Goßler, der Merckels Schwager war.

Text: Christian Neumann (Berlin)

Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags finden Sie in unseren Mitteilungen aus dem Storm-Haus