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16. März – 30. April 2024

Di, Do, Fr u. So 14–17 Uhr | Sa 11–17 Uhr 

| 16. März – 30. April 2024:
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Auf der Universität

Die kleine Näherin Lore Beauregard fühlt sich von ihrem standesgemäßen Bräutigam verlassen. Darauf gibt sie sich einem adeligen, aber charakterlosen Studenten, genannt der »Raugraf«, hin und avanciert somit spottweise zur »Gräfin«.

Die Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Aufstieg erfüllen sich für Lore jedoch nicht. Als sich ihr Bräutigam zum Happy Ending zurückmeldet, gibt es für Lore kein Vor und kein Zurück mehr. Die damit verbundene Schande verhindert den Wiedereintritt in die verlassene kleinbürgerliche Sphäre. Lore sucht und findet den Tod in der Kieler Förde.

Die Novelle wurde nach Auskunft des Dichters von einer wahren Begebenheit angeregt. Seine Erzählfigur Lore Beauregard hat Storm in einem Brief gegenüber Hartmuth Brinkmann folgendermaßen charakterisiert: »Eine zarte erregte Mädchennatur mit dem eingeborenen Drang nach schöner Gestaltung des Lebens, dessen Erfüllung die äußeren Verhältnisse versagen.« (4.4.1863)

»Die Erinnerung an ein Nähmädchen, die – als ich in Kiel studierte – aus Trotz, weil sie sich von ihrem Liebsten, einem auf der Wanderschaft befindlichen jungen Handwerker verlassen glaubte, sich den Studenten in die Arme warf (als es zu spät war, kam er auch zurück) gab mir die äußere Veranlassung; mit der Persönlichkeit der Lore hatte sie freilich nicht die entfernteste Ähnlichkeit.«

Storm an Fontane, 20.12.1862

Die Handlung beginnt in Husum. Schauplatz des zweiten Teils der Erzählung ist die Universitätsstadt Kiel, wie Storm sie kennengelernt hat. Zentraler Ort des »lustigen Studentenleben[s]« bildet das »Ballhaus«. Zum Vorbild diente das »herrschaftliche Wirtshaus im Düsternbrooker Gehölz«, bei den Kielern besser bekannt unter dem Namen »Sanssouci« (siehe Abbildung). Drei Jahre nach Erscheinen von Storms Novelle brannte die Waldwirtschaft ab. Aus Anlass des 100. Geburtstages des Dichters im Jahre 1917 pflanzte man an der Stelle eine Doppeleiche. Das Symbol schleswig-holsteinischer Einheit war Storms »Heimattreue« gewidmet. Zugleich wurde ein Gedenkstein gesetzt mit der Aufschrift »Theodor Storm. Auf der Universität«. Er erinnert noch heute an Autor, Werk und Ort des fiktiven Geschehens. In der Nähe ist der Fördestrand zu denken, an dem Lore Beauregard ins Wasser gegangen ist.

Der Ich-Erzähler teilt folgende Impression vom studentischen Tanzvergnügen mit: »Es war schon dunkel; eine schwüle Luft lag über dem Walde, während ich die Anhöhe hinauf den Weg durch die Baumstämme zu finden suchte. Als ich die Steintreppe erstiegen hatte, blieb ich unwillkürlich stehen. Neben mir sah ich ein paar weiße Mädchengestalten durch die Bäume schlüpfen und dann seitwärts im Hause verschwinden. Es schien eben eine Tanzpause zu sein; ich hörte drinnen in dem hell erleuchteten Saal die Musikanten ihre Geigen stimmen; an den offenen Flügeltüren vorbei trieben Studenten und Mädchen in lebhaftem Verkehr vorüber. Ich konnte mich nicht überwinden, sogleich hineinzugehen; vor meinem innern Auge stand die liebliche Kindesgestalt des Mädchens; ich sah sie wieder an dem Halse ihres armen Vaters hangen; ich dachte daran, wie sie so hartnäckig meiner knabenhaften Leidenschaft ausgewichen war.

Ein plötzlicher Schmerz kämpfte in meiner Brust; ich weiß kaum, war es Mitleid oder Eifersucht. Endlich stieg ich die beiden Stufen der kleinen Halle hinan und stellte mich unbemerkt an den Pfosten der offenen Tür. Die Pause dauerte noch fort; aber es schien darum nicht weniger lebendig; die Studenten, die an den Seitentischen oder im Nebenzimmer saßen, redeten und klappten mit ihren Seideln, die Mädchen trieben sich lachend auf und ab; mitunter fuhr ein übermütiger Schrei durch den Saal.«

Die schönste Stadt im schönen Holstein

Storm liebte Kiel und die Kieler. Rückblickend auf seine Studentenzeit schrieb er: »Wie reich war ich in Kiel!« Damit meinte er vor allem seine »Clique«. Auch nach dem Studium blieb Storm der Fördestadt verbunden und befand: »Kiel ist schön, sehr schön, die schönste Stadt im schönen Holstein.« Sie war ihm »ein prächtiges altes Nest und voll von netten Kerls«, in das er immer wieder gern fuhr. Zu den »netten Kerls« gehörte auch sein Freund, der Dichter Klaus Groth, dessen Familie er oft besuchte. Den schönen Schreibtisch in Storms Arbeitszimmer in Husum erhielt der gefeierte Autor von Kieler Verehrerinnen als Geschenk zu seinem 70. Geburtstag. Die Ehrendoktorwürde der Christian-Albrechts-Universität haben die Kieler ihrem ehemaligen Studenten jedoch versagt.

Text: Walter Arnold (Heikendorf)