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16. März – 30. April 2024

Di, Do, Fr u. So 14–17 Uhr | Sa 11–17 Uhr 

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Storms Wohnungen in Potsdam

Am 5. Dezember 1853 nahm Storm in Potsdam seine Arbeit als Gerichtsassessor ohne Stimmrecht und zunächst auch ohne Bezahlung auf. Da er nur ein Universitätsexamen ohne Vorbereitungsdienst vorweisen konnte, besaß er nicht die erforderliche Qualifikation für das Amt und musste zunächst monatelang eingearbeitet werden. Kreisgerichtsdirektor von Goßler und dessen Frau Sophie halfen ihm, eine geeignete Wohnung für die fünfköpfige Familie und ein Dienstmädchen zu finden. Es war eine 6-Zimmer-Wohnung mit »geräumiger Kinderstube [und] heller freundlicher Wohnstube.« Sie befand sich in der oberen Etage des Hauses Brandenburger Straße 70, einem direkt am Brandenburger Tor gelegenen Eckhaus, das heute noch steht und nur wenige Fußminuten vom Schlosspark Sanssouci in westlicher und dem Kreisgericht in der Lindenstraße 54 in östlicher Richtung entfernt ist. An der Fassade wurde 1993 vom Heimatkreis Potsdam eine Gedenktafel angebracht. Da diese Wohnung in bester Stadtlage für den auf väterliche Geldzuwendungen angewiesenen Assessor auf Dauer nicht finanzierbar war, zog die Familie im Juli 1854 für die nächsten zwei Jahre in die Waisenstraße (heute Dortusstraße) 68, wo statt 180 nur 130 Taler Miete pro Jahr anfielen.

»Eure wenn auch leisen Hoffnungen einer ehrenhaften Heimkehr kann ich für die nächste Zeit nicht teilen. Daß wir aber, wenn wir nicht vor der Zeit sterben, noch einmal wieder in die Heimat kommen, das ist mein fester Glaube. Eventuell wird das mein Sterbekissen.«

Storm an Ernst u. Elsabe Esmarch, 22.12.1854

In diesem Haus brachte Constanze am 10.6.1855 Lisbeth als viertes Kind und erste Tochter der beiden zur Welt. In einem Brief an die Brinkmanns vom 22.8.1854 beschreibt Storm die Wohnung als »ein recht angenehmes Quartier (drei geräumige Stuben nach der Straße, Kinderstube, Schlafstube, Küche nebst Kammer) wobei ein großer Hof, an dem noch viele bekinderte Leute wohnen, eine Jüdin (deren Mann wir wegen Betrugs eingesteckt) mit zwei netten Jungens, ein armer Maler und Lackirer mit einem Rudel Gören etc.« Das damalige Gebäude hat zwar ebenso wie die anderen Potsdamer Storm-Stätten die verheerende Bombennacht vom 14. April 1945 überstanden, ist aber 1989 abgerissen und durch ein neues ersetzt worden. Während der letzten Monate vor dem Umzug nach Heiligenstadt, nämlich von April bis August 1856, lebte die Familie noch in einer dritten Wohnung, die sich in der Kreuzstraße (heute Benkertstraße) 15 im Holländischen Viertel befand. Über die Wohnung und ihre Umgebung schrieb Storm am 7.4.1856 an seine Eltern: »Das Quartier ist sehr angenehm, alle Piecen wohlgetrennt, eine große Kinderstube und für mich eine eigene Stube neben dem Wohnzimmer, überdieß noch etwas wohlfeiler, als das frühere; ich habe es auf ½ Jahr für 60 Taler gemietet. Es liegt nur 3 Häuser von dem großen ungepflasterten Bassinplatz […], der ein herrlicher Tummelplatz für die Kinder ist.« Anders als mit seinen Arbeitsbedingungen war Storm mit seinen Wohnverhältnissen in Potsdam also durchaus zufrieden.

Gerichtsassessor in Potsdam

Während der drei Potsdamer Jahre war Storm mit seinen Arbeitsbedingungen permanent unzufrieden, obwohl er in fachlicher Hinsicht seinen Aufgaben voll gewachsen war, wie aus der ersten dienstlichen Beurteilung vom 25.8.1854 durch seinen Vorgesetzten, Kreisgerichtsdirektor von Goßler, hervorgeht. Dieser bescheinigte Storm »tüchtige Kenntnisse des gemeinen Rechts, eine leichte Auffassungsgabe [sowie] juristischen Takt und Scharfsinn« und hob als besondere Qualität hervor, dass er »mit dem gemeinen Mann sich gut zu verständigen« wisse. Dennoch fühlte sich Storm während der gesamten Potsdamer Zeit mit seiner Lebenssituation überfordert. Immer wieder reagierte er auf die beruflichen Belastungen mit Krankheit. Bereits wenige Monate nach Dienstantritt, am 22.1.1854, reichte er unerledigte Akten zurück und meldete sich zunächst bis Ende des Monats krank, woraus mit mehreren Verlängerungen dann zehn Wochen wurden. Auch nach Ablauf des ersten Potsdamer Jahres hatte sich das Gefühl ständiger Überforderung kaum verringert, wie sein Weihnachtsbrief an die Schwiegereltern vom 22.12.1854 vor Augen führt. Dort beklagt er sich bitter über die »Arbeit-Hetzjagd«, bei der »für Alles, was mich wirklich interessirt im Leben, weder Zeit noch körperliche Fähigkeit übrig bleibt. Denn wenn ich 10–12 Stunden terminirt, decretirt, berichtet, referirt etc. habe, bin ich in den paar abfallenden Stunden nicht einmal capabel mich mit meinen Kindern zu unterhalten.« Worunter Storm in Potsdam litt, war nicht nur die Menge der anfallenden Arbeit, nicht nur das Gefühl, in der Fremde leben zu müssen, sondern der Wechsel von einer in Husum noch vorherrschenden vorindustriellen Langsamkeit hinein in die Welt der modernen Bürokratie in ihrer verschärften preußischen Ausprägung. Seinen Arbeitsplatz hatte Storm im Königlichen Kreisgericht in der Lindenstraße 54. Das Gerichtsgebäude, das 1737 als ›Kommandantenhaus‹ für den jeweiligen Kommandeur des Leibregiments des Königs errichtet und 1817 dem Stadtgericht als Eigentum zugesprochen wurde, beherbergt heute eine Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert, denn in diesem Gebäude befand sich von 1952 bis 1989 das Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit für den Bezirk Potsdam. Unter dem prunkvollen Giebel des Portals ist eine Inschrift zu lesen: »Königshuld und Bürgersinn dem Stadtgerichte. 1820.«

Literarische Aktivitäten in Potsdam

Während der Potsdamer Jahre pflegte Storm seine Freundschaften zu Fontane, Kugler, Eggers, Merckel und den anderen Mitgliedern des Berliner Rütli-Kreises, die ihn auch gelegentlich in der Waisenstraße besuchten. Das geschah allerdings viel seltener, als er es sich gewünscht hätte, wie die wiederholten Absagen Fontanes belegen. Daneben baute er sich auch in Potsdam literarische und gesellschaftliche Beziehungen auf, unter anderem zu dem Gogol- und Turgenjew-Übersetzer August von Viedert (1825–1888), dem Kreisgerichtsrat Rudolph Hermann Schnee (1805–1864) und dem Hofprediger Carl Grisson (1803–1875), der ihm mindestens zweimal die Möglichkeit verschaffte, vor der ›Litterarischen Gesellschaft Potsdam‹ (›Litteraria‹) aus seinem Werk vorzulesen. Bald darauf wurde er selbst in diese Vereinigung aufgenommen, die sich einmal monatlich, unter anderem im Palais Barberini, zum Abendessen mit Lesungen und Vorträgen traf.

»Du wunderst Dich, wie ich Heimweh haben könne – ich will es Dir sagen:
 
Am Deich.
An’s Haf nun fliegt die Möwe und Dämmrung bricht herein, / Ueber die feuchten Watten spiegelt der Abendschein. / Graues Geflügel huschet neben den Lachen her; / Wie Träume liegen die Inseln im Nebel auf dem Meer. / Ich höre des gährenden Schlammes geheimnißvollen Ton, – / Einsames Vogelrufen – so war es immer schon!«

Storm an seinen Vater, 6.–10.6.1854

In literarischer Hinsicht war die Potsdamer Zeit, ganz anders als die sich daran anschließenden acht Heiligenstädter Jahre, wenig produktiv. Es entstanden die kleinen Novellen Im Sonnenschein (1854), Angelica (1855) und Wenn die Äpfel reif sind (1856) sowie etwas Lyrik, darunter allerdings auch das herausragende Gedicht Am Deich (später umbenannt in Meeresstrand), das er im Juni 1854 als Ausdruck seines Heimwehs inmitten der Potsdamer Drangsal an seinen Vater schickte. Insgesamt waren die drei Potsdamer Jahre ein Härtetest, den Storm leicht beschädigt bestanden hat und der ihm half, mit den späteren Herausforderungen seines Berufslebens besser zurechtzukommen und damit auch mehr Freiraum für sein Dichtertum zu gewinnen.

Text: Christian Neumann (Berlin)

Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags finden Sie in unseren Mitteilungen aus dem Storm-Haus